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PUBLISHINGPRAXIS - Dezember 97, S. 26
Auf der Seybold San Francisco sagte Bill Gates in seiner Rede voraus, daß wir in zehn Jahren alle einen Internet- Lifestyle führen würden. Zwar sagte er nicht dabei, ob das nun als Drohung für uns gemeint sei oder als Versprechen unserer kommenden Glückseligkeit, aber zweifellos wird er damit seine persönliche Glückseligkeit meinen. Denn die Frechheit, mit der er einerseits die von seinem Betriebssystem abhängigen Computerhersteller zwingt, seinen Internet Explorer als Default Browser mit Windows zu installieren, wird ihm weitere Milliardeneinnahmen im Laufe der Zeit bringen, wenn die Klagen von Compaq und dem amerikanischen Justizministerium keinen Erfolg haben sollten. Der Trick, den Browser im Betriebssystem zu verankern und deshalb als zwingend notwendigen Teil von Windows 98 zu erklären, wird ihm hoffentlich kein Gericht abnehmen.
Aber was ist nun eigentlich der Internet Lifestyle, der über die Amerikaner kommen soll? Schon 1968 hat auf der Hamburger Fachhochschule für Kommunikationstechnik ein damals führender Kopf namens K.-A. Springstein die total verkabelte Welt vorausgesagt, in der man alle notwendigen Verrichtungen des zivilisierten Lebens vom Computer aus bewerkstelligen könne. Schon damals sagte er all das voraus, was Bill Gates jetzt den Amerikanern androht. Amerika hat sich ein Land geschaffen, in dem man jede, aber auch die kleinste Distanz nur mit dem Auto überwinden kann, von wenigen Großstädten abgesehen. Dank Kabelfernsehen kann man sich rund um die Uhr zu Hause unterhalten lassen und muß das Haus nur noch verlassen, um zur »shopping mall« zu fahren, um einzukaufen oder beim Autohändler die neuen Autos zu bewundern. Und das kann man dann im Internet Lifestyle auch noch vergessen: Alles wird übers Web zugreifbar, bestellbar und lieferbar. Wollen wir das wirklich?
In Wirklichkeit wird es bei uns soweit gar nicht kommen, dafür sorgt schon die Telekom mit ihren Telefongebühren. Während nämlich in den USA die Ortsgespräche und damit die Modemverbindungen zum Internet gratis sind, werden wir hier in Deutschland im Sekundentakt zur Kasse gebeten. Das schränkt den Internet- Gebrauch bereits stark ein. Wenn das Internet in Zukunft über das Videokabel kommt, entfallen zwar die Telefongebühren, aber glauben Sie im Ernst, daß die Kabelgesellschaften Ihnen die Internet-Nutzung schenken wollen?
Ich finde das Internet die tollste Erfindung der 90er Jahre und bin überzeugt, daß es uns großen Nutzen bringen kann, wenn wir lernen, es richtig zu gebrauchen. So wie man heute mit dem Telefon rund um die Welt mit jedermann sprechen kann, werden in Zukunft alle Computer der Welt miteinander kommunizieren können. Und wir von der Druckindustrie werden diesen Netzverbund einsetzen, um unsere großen Datenmengen zu transportieren.
Doch heute sind wir erst im Jahre vier des Internets, haben also die Geburtswehen hinter uns und müssen nun lernen, nach der verspielten Kleinkinderzeit allmählich erwachsen zu werden. Bill Gates Versuch, uns auch mit dem Internetzugang zu monopolisieren, darf ich deshalb als typische Fehlleistung im Zeitalter der Flegeljahre einordnen, und ganz sicher wird man ihm noch ein paarmal auf die Finger klopfen müssen, bis er erwachsen ist.
Wir haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, mit dem Fernsehen zu leben, mit dem Auto zu fahren, mit dem Video und dem Computer umzugehen und uns vor dem Handy zu schützen. Leben Sie deshalb einen Fernseh-Auto-Video-Computer- Handy-Lifestyle? Doch wohl kaum, denn jedes einzelne Medium nimmt doch vermutlich nur den Platz in Ihrem Leben ein, den Sie selber ihm einräumen. Und genau das werden Sie auch mit dem Internet machen, ob das dem Herrn Gates nun passen mag oder nicht.
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Kurt K. Wolf